Der Norm-Arbeiter 
       
      Im assessment-center vermessen Firmen ihre Mitarbeiter
      Gänzlich unbemerkt vom in Ethikräten und Bierhallen tobenden Streit ums Klonen formt die Wirtschaft längst Mitarbeiter nach
      ihrem Ebenbild. Das muß auch so sein, denn schließlich läuft das Personal dort unter "human resourcess": menschliche
      Resourcen. Und Resourcen sollten sich möglichst paßgenau einfügen. Dafür gibt es in immer mehr Unternehmen ein Sieb, das
      zumindest die höheren  Mitarbeiter gründlichst vermißt vor der Einstellung. Das Sieb nennt sich "assessment-center",
      Einschätzungs-Zentrum. 
       "Wir sind offen und straight" spricht der "Human-resources-manager"  Guido Biele, 29 Jahre, groß und
      in gediegenes Dunkelblau gehüllt im Berliner Büro der Unternehmensberatung Kienbaum, dem größten Anbieter von
      assessment-center hierzulande.  Der Powerriegel zum Mittagessen in der Sofaecke teilt für ihn den Tag in zwei Hälften: früh
      einen Bewerber beurteilen, und jetzt die nächste, nennen wir sie Anne Wischmeyer (Name geändert). Sie will auch mal
      "Human-resources-managerin" werden, und nimmt deshalb am mit Plätzchen gedeckten Konferenztisch zum großen Einschätzen
      Platz. Gegenüber hat Praktikantin Alexa als "zweites Auge"  genauso wie Guido Biele eine Mappe vor sich liegen, auf der die
      Anforderungen an die Bewerber-Persönlichkeit aufgelistet stehen. Aber erstmal darf die Kandidatin fast eine Stunde lang im
      Plauderton über sich erzählen. Studiert hat sie, als Praktikantin beim assessment-center auf
      der anderen Seite gesessen, "und jetzt also der große next step!"  ruft sie laut. Die Kandidatin erzählt und erzählt, die Linke nervös am Kopf, die
      Rechte auf der Tischplatte, will sie kompetent, sympathisch, aufstrebend und redegewandt wirken, möglichst alles
      gleichzeitig.  "Was ist so schön daran, besser zu sein?" stellt Guido Biele die Kernfrage der Branche, und: "Vorhin haben
      Sie gesagt: Ich bringe gern Ideen zusammen. Ich dachte, Sie wollen mir damit sagen: ich bin selbst nicht so kreativ!". Die
      Kandidatin redet und redet. "Ich danke für die Aufklärung" stichelt der "Human-resource-manager". 
      Aber in dieser Branche sollte man geschmeidig bleiben, auch das wird hier getestet. Und nach der knappen Stunde verteilen Guido Biele und
      Assistentin draußen in der Couchgarnitur Zensuren pro Persönlichkeitseigenschaft und Fähigkeit:  von eins bis sieben reicht
      die Skala.   Dass sie ehrgeiziger sei als sie sich am Anfang gebe und verkrampft lache wird hier notiert.  "Sie redet nicht
      besonders mitreißend,  gestikuliert zu viel und kann nicht vermitteln, dass sie hinter einer Idee steht", sagt die
      Assistentin. Für den "missionarischen Eifer" zugunsten des Unternehmens gibts also nur eine drei. Der Bochumer Philosoph
      Jürgen Hengelbrock verglich unlängst dieses Verfahren mit dem Vermessen einer EG-Kuh. Assessment-center sind eine Erfindung
      der US-Army zur Agenten-Rekrutierung. Statt Bewerbungsgespräch bei Kaffee und Kuchen sollen die Kandidaten hier Szenen aus
      dem neuen Job  durchspielen, die Kandidatin Wischmeyer also heute eine "Human-resource-managerin".  Dafür mimt Guido Biele
      in der ersten Stunde einen Bankfilialleiter namens "Herr Dagobert", dem Kunden und Mitarbeiter davonrennen und der deshalb
      bei der Beraterin nach Abhilfe sucht. In der zweiten Stunde  gibt derselbe Guido Biele dann einen Berater-Kollegen, um die
      Kandidatin auf Teamfähigkeit zu prüfen. Und in der dritten Stunde dann wird die ganz große Besetzung aufgefahren:  Guido
      Biele macht wieder den "Dagobert" , eine Kollegin spielt die Personalchefin der Bank und eine andere die Frau vom
      Betriebsrats, so nörgelnd, wie sie sich ein Unternehmensberater nur vorstellt.  Da gibts dann ein munteres Hin und Her im
      business-Stil, und mittendrin die Kandidatin Wischmeyer, die mit vielen bunten Worten Berater-Dienstleistungen wie  " in-
      und out-door-Aktionen zur Stärkung des Wir-Gefühles" schmackhaft machen will. Die Gewerkschafterin findet das albern, der
      Bankdirektor "Dagobert" zu teuer: "Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich jetzt Erfolge brauche!"  Da zittert die Kandidatin.  
      "Ich muß niemanden anbrüllen, damit er Streß hat. Ich muß einfach immer nur widersprechen" umreißt der Psychologe Biele die
      Methode. Und das ist noch die softe Varante, andere Firmen setzen da auf grobschlächtiger Mittel, den Kandidaten in die
      Enge zu treiben. Und so empfinden auch mehr als 20 Prozent der Bewerber ihr assessment-center als Psycho-Terror, schätzt
      der kritische Unternehmensberater Thomas Schmidt,  und viel mehr fühlen sich entblößt.
      Doch während die Kandidatin mit dem "Postkorb", dem Klassiker eines jeden assessment-centers beschäftigt ist, und dort ein
      Chaos an Briefen und Terminen strukturieren muß, preist Guido Biele die Vorzüge des Verfahrens.  Durch die
      festgeschriebenen Auswertungsbögen und mehrere Beobachter entgehe man subjektiv gefärbten Fehlurteilen eher als beim
      klassischen Bewerbungsgespräch. Doch ob die Kontrolle durch nur eine Praktikantin schon ausreicht für die proklamierte
      Objektivität, das will die Assessment-Expertin Dr. Petra Kemter von der TU Dresden  bezweifeln. 
      Inzwischen  geht es auf den Abend zu und die Kandidatin wühlt sich noch durchs Postpapier. Zu Ende kommt sie mit ihren Terminen nicht,  denn es
      naht das große Abschluß-feed-back. Dafür haben Guido Biele und Assistentin ihre Notizen durchgesehen, auf die sie sich nach
      jeder Übung und manch sachter Diskussion untereinander geeinigt haben. Es folgt das Urteil: "Das ist bei mir immer kurz und
      knackig: drei Stärken, drei Schwächen", so läßt Guido Biele das Effizienzgebot auch noch bei der Bewertung der
      Persönlichkeitseigenschaften  walten. Da lobt er das professionelle Auftreten der Kandidatin, und legt dann mit seiner
      Kritik an den mangelnden Ideen und dem zu schwachen Eingehen auf die Kundenwünsche nach. "Mir fehlte eigentlich bloß das
      Mittagessen", sagt die Kandidatin.  
 Damit ist das Assessment-center zu Ende, jetzt werden die Kienbaum-Berater die Bögen der
      Kandidatin Wischmeyer neben die Bögen der anderen Kandidaten legen und vergleichen. Gesteigerte Objektivität, nennen sie
      das. "So gibt es Raster, durch die alle gesiebt werden. Und übrig bleiben die Ellebogen-Leute, immer die gleichen.  Und die
      sensiblen Leute fallen raus", so sagt es die Kandidatin Wischmeyer nach der Vorstellung. Und der Bochumer Philosoph
      Hengelbrock hat unlängst mal angefragt, ob nicht im assessment-center die personalpolitische Klugheit durch die Schablone
      ersetzt wird. Mit dem immer gleichen Produkt: der genormte Mitarbeiter. Der Kandidatin Wischmeyer schwant freilich nach
      ihrem assessment-center noch anderes: "Man fühlt sich hier schon durchleuchtet. Und irgendwann gibt es dann den gläsernen
      Mitarbeiter."  Kann ja sein, dass dies der Sinn jener Bilderaufschrift im Kienbaum-Flur ist. "Our unfinished revolution"
      steht dort:  
 Unsere unvollendete Revolution.  
      Ethisch und praktische Richtlinien für assessment-center:  
        www.arbeitskreis-ac.de   
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