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::: Edition Andi :::

< Die gesammelten Sonderermittlungen des
homo journalisticus Andreas Roth >

Wüstenblumen pflanzen

Kirchen in aller Welt wollen in den nächsten zehn Jahren Gewalt überwinden.
Ein Beispiel aus Bautzen von der Basis.

Als Kirchenchefs aus aller Welt beschlossen, in den nächsten zehn Jahren Gewalt zu bekämpfen und das dann "Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt" nannten, da hatte sie für Max schon längst begonnen. Damals nämlich, als seine Faust in der Tasche blieb, während eine "Glatze" mit Springerstiefeln und zum Führergruß angeflachtem Arm "Kanake" brüllt, nur weil bei Max die Haare etwas länger wachsen. Beim Erzählen noch zuckt ihm die Hand. "Ich denke dann einfach, das ist ein armes Schwein". Leicht ist Gewaltüberwindung nicht an der Basis. Einige der "Glatzen", die Max da abends auf der Straße antrifft, die kennt er eigentlich aus dem TiK, dem "Treff im Keller" der hiesigen Petri-Kirche. Dort hängt Max mit seinen Freunden gelegentlich ab, und dort hat auch eine "Glatze" einen Namen, nennen wir ihn Daniel. Daniel ist heute nachmittag auch wieder im Keller. Versteckt in seinen üblichen Nazi-Klamotten, der Tarnjacke, den schwarzen Jeans und den Springerstiefeln läuft er durch die hölzerne Teeküche, als wollte er sich unsichtbar machen. Daniel ist einer von den Verlierern in Uniform, einer, der anderen ungern in die Augen sieht. Unruhig kurbelt er im Drehstuhl umher, sagt wenig mehr als "ja" und "nein". Und doch, das merkt man, ist es nichts alltägliches für ihn, dass sich jemand mit ihm unterhält. Morgen kommen Kinder aus einem rumänischen Kinderheim hierher ins TiK, ob er dabei ist ? "Nee, das nicht", sagt er und sieht weg. Aber nie würde er erzählen, wie er die dunkelhäutige Praktikantin aus Rumänien nach einigen Wochen doch liebgewonnen hat. Viel wie selten einem hat er ihr erzählt und gelitten hat er, als sie wieder ging. Derselbe Daniel, der in seinem jungen Leben wohl schon viele Schläge erdulden mußte und der von der Fotowand im TiK-Flur als Kind mit scheuem verschlossenem Blick dreinsieht, derselbe Daniel zieht gelegentlich in rechten Kolonnen durch die Straßen. Und heute ist sein 15. Geburtstag. Nö, sagt er abermals, schaut wieder weg und schaukelt weiter, ein besonderer Tag ist das nicht. Diese Langeweile tagein tagaus, in die Schule geht er schon lange nicht mehr, schreiben und lesen kann er auch nicht. Will man mit Daniel ins Gespräch kommen, muß man ihn nach den 150 Tonnen Dreck fragen, die die Jugendlichen vor vier Jahren hier aus dem Keller gekarrt haben, damit es "ihr" Keller wird. Und Daniel, damals so 10 oder 11, der stand damals am Preßlufthammer. Das war der Platz, an dem er am allerglücklichsten war, das war herrlich anzusehen, erzählen Leute, die ihn damals erlebt haben. Max , David, Friedemann und Freunde haben auch zur Schaufel gegriffen. Jetzt sitzen sie im neuen hölzernen TiK-Keller und diskutieren, 17 Jahre alt, nachdenklich und auf hochdeutsch, lange Mäntel oder lange Haare. Wir sind der Teil hier, der es nicht so schwer hatte zu Hause, sagen sie, die zumeist aus der Jungen Gemeinde oder dem christlichen Bandprojekt "Ten Sing" hierher kamen. Ihr Zusammentreffen mit Jungs wie Daniel beschreiben sie so: "Die erste Reaktion ist ganz menschlich: Solche Typen sind die letzten Assis". Daran erinnert sich David noch ganz gut. Aber, fügt er hinzu, wenn ihm dann einer der Betreuer mal die Geschichte von Daniel erzählt habe, dann habe er umgedacht. "Es gehört trotzdem Überwindung dazu, zu jemandem mit Glatze und Springern "Hallo" zu sagen", daran hält Max fest. Jedoch bei den offenen Abenden kann sich im Keller keiner aus dem Weg gehen. "Dadurch dass wir hier unten aufeinander hängen, kommt es zwangsläufig zu Diskussionen",weiß Friedemann. "Aber wenn man nach all den Jahren reinkommt und einfach "Hallo" sagen kann, da hat sich doch was verändert. Wäre man sich zuerst auf der Straße begegnet, wäre es vielleicht aggressiv ausgegangen." Max, Friedemann und Freunde sind eher die Nachdenker, sie wollen erklären. Friedemann erzählt zum Beispiel von einem früheren Mitschüler, einem Hänfling, den man ins Wasser werfen mußte, weil er panische Angst vorm Schwimmunterricht hatte. Mit der Eisenstange mußte der vom Rand ferngehalten werden, letztens wurde er mit Springerstiefeln und Nazijacke gesehen. " Was ist mit diesem Menschen passiert ? ",darüber diskutieren sie jetzt ernsthaft. Und um dem auf die Spur zu kommen, tauschen Max und Freunde die Rollen und ziehen selbst die Springer mit den weißen Schnürsenkeln an. Freilich auf der Bühne nur, "Schrei nach Liebe" heißt das Theaterprogramm ihres Bandprojektes "Ten Sing". Max findet sich hier als Mitläufer wieder. "Dieser Prozeß, wie ich zum Rechten werde, der ist sauschwer rüberzubringen. Deine Mutter kümmerst sich nicht wirklich um Dich, in der Schule bist Du der looser. Du gerätst da so schnell rein, weil Du einen Halt suchst." Einige der jungen Leute, die auf der Bühne mitspielen, sind seit einiger Zeit auch im Jugendkeller die Ansprechpartner für echte "Rechte" wie Daniel. Gegenseitiges Verstehen, sagen sie, ist der Anfang. Und dann kommt vielleicht sowas wie Respekt. Die "Obermütze" im TiK ist allerdings "Ritschi", sonst Rüdiger Steinke genannt, 1989 kam er als junger Diakon zur Petri-Gemeinde in Bautzen., jetzt ist er der menschliche Leuchtturm des TiK. Anfang der 90er hat der kirchliche Sozialarbeiter die Räume der Jungen Gemeinde auch für die kids geöffnet, die zu Hause nie jemand so richtig wollte. "Auch der Daniel war ja von Anfang an übrig", erfuhr Steinke, dem das Beten schwer geworden ist angesichts der Geschichten "seiner" kids: "Gott, Du siehst doch den Schlamassel, was soll ich Dir in den Ohren liegen." Oft sind es die Verlierer, die im TiK eine Art zu Hause suchen. "Und ihre Kinder werden wieder Verlierer sein, und Gott wird sie nicht zu Gewinnern machen", so will sich der Diakon vor allzu viel Träumerei schützen. Geschlagen geben will er sich indes trotzdem nicht. Jedes Jahr reist er mit Leuten aus dem TiK nach Auschwitz, und auch die mit den kurzen Haaren kommen ab und an mit. Drei von denen hat er vor Jahren mal in ein rumänisches Kinderheim mitgenomen. "Die hatten nach drei Minuten an jeder Hand vier Zigeunerkinder, da waren sie entwaffnet", grinst er. Aber Rüdiger Steinke weiß auch, wo die Grenzen liegen. Vor einem Jahr landeten fünf seiner TiK-Gäste im Knast, zwei von ihnen wegen Mordes. Mit einem von denen hat er früher zusammen Kuchen gebacken, er ist trotzdem zum Mörder geworden. "Die Wärme, die wir zu bieten haben kann die vorher erlebte Kälte eben nicht wettmachen." Daniel hat vorhin übrigens ein erdiges Knäuel als Geburtstagsgeschenk von Rüdiger Steinke bekommen, etwas irritiert dreht er es in der Hand. "Rose von Jericho" heißt diese bräunlich vertrocknete und zusammengekrümmte Wüstenblume, aber nach einem Wüstenregen, erzählt ihm Rüdiger, da blüht sie auf. "Und wenn er sieht wie sie aufgeht, weiß er vielleicht, was ich meine."

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