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Ost und West fragen nach ihrer Geschichte – und kommen manchmal zu unterschiedlichen Antworten

"Nie wieder Deutschland" zürnen gelbe Zettel auf Leipzigs Straße, wo vor Tagen noch der "Nationale Widerstand" marschierte. In solchen Zeiten läßt es die Geschichtswissenschaft beschaulich angehen. "Das ,Deutsche‘ wartet noch auf seine Definition", sagt Günter Gerstberger, der mit seiner Robert-Bosch-Stiftung ins "Zeitgeschichtliche Forum" eingeladen hatte. "Es ist ein offenes Feld. Und wir müssen uns der Mühe unterziehen, es zu bestellen". Bevor es andere tun. Da sorgen sich in letzter Zeit die Denker der Republik wieder um den Begriff "Nation", um ihn den Schlägern und Geschichtsfälschern zu entreißen. Doch wer dieses schwer von seiner Vergangenheit gebeugte Wort suchen will, der findet es zum Beispiel unter der "Platte" in Rostock-Toitenwinkel. Die von seinen Einwohnern gern "Totenwinkel" genannte Schlafstadt ist eine wie viele im Lande, mit ihren Arbeitslosen und Arbeitern, ihren Rentnern und Glatzen. Die "Nation" geistert dort wie vielerorts als dumpfe Parole umher. "Wir haben das teilweise einreißen können, indem wir den Bewohnern zeigen konnten, was für wichtige Geschichte unter ihren eigenen Füßen liegt", begeistert sich Dr. Reno Stutz. Er konnte hier zusammen mit ehrenamtlichen Historikern und dem Geld der Bosch-Stiftung nach der eigenen Geschichte suchen. Und siehe da: Die Rostocker schlafen auf fünf Jahrtausenden. Slawische Siedlungen haben Schüler dort ausgegraben und auch das Gutshaus der Familie von Moltke, deren Namen stellvertretend für den bürgerlichen Widerstand und die Opfer des Nationalsozialismus steht. Was sie fanden, war auch Deutschland.

Die kleine Geschichte der kleinen Leute trifft dort auf die Große. Und sie ächzt dann nicht mehr unter der Grabplatte akademischer Gelehrsamkeit, sondern sie beginnt zu leben. Und sie kann Entwurzelte verwurzeln, davon ist die Erfurter Historikerin Dorothea Wierling überzeugt: "Das Begehren nach Geschichte entspringt dem Wunsch nach Zugehörigkeit und Annahme in einer Gesellschaft". Dann geht es in "Geschichte" plötzlich nicht mehr um eine abstrakte Vergangenheit, sondern um die Anerkenung für die eigene Geschichte. Eine Anerkennung, die viele im Osten Deutschlands in den letzten Jahren schmerzlich vermißt haben. Im Osten, das belegt eine Studie des Hamburger Erziehungswissenschaftlers Bodo von Borries, sehen deshalb nicht nur die Erwachsenen, sondern auch deren Kinder die Geschichte anders als im Westen der Republik. Da wird der Stolz auf Volk und Nation stärker betont, aber gleichzeitig auch Antifaschismus und Pazifismus. Gleiche Preise bei niedrigeren Löhnen – solche Formeln und Erfahrungen von Zweitklassigkeit prägten viele Ostdeutsche und zementieren eine Ost-West-Demarkationslinie im gesamtdeutschen Geschichtsbewußtsein. Aber das sei garnicht so schlimm, meint der Erziehungswissenschaftler von Borries: "Ich träume überhaupt nicht von einem einheitlichen Geschichtsbewußtsein. Ein pluraler und post-nationaler Verfassungsstaat wie Deutschland braucht das nicht." Brisant aber wird das gut abgehangene Geschichtsbewußtsein, wenn es heutiges politisches Handeln bestimmt. So rechtfertigt die rot-grüne Regierung Deutschlands militärische Auferstehung mit dem Hinweis auf den Holocaust, moniert der Heidelberger Politologe Felix Philip Lutz: "Geschichte wird dann instrumentalisiert und dient als Steinbruch, der alles erlaubt".

Und während die Professsorenrunde bei Kaffee und Kuchen räsoniert, grollt es in der letzten Reihe teutonisch: "Ostdeutschland liegt immernoch in Königsberg". Dass man das Haus seines Nachbarn nicht anzündet, so sprach der Professor von Borries und lehnte sich zurück, sei keine Sache von Geschichtsbewußtsein. "Sowas sollte eigentlich selbstverständlich sein". Es ist es nicht mehr.

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