Denkfabrikat.de

G3

Drahteselei

Thermotheologie

Edition Andi

TTTB

Heawy Metalowny

Stammtisch



:::EditionAndi zeigt an: Hier wurde gedacht!
Andi:::
 

::: Edition Andi :::

< Die gesammelten Sonderermittlungen des
homo journalisticus Andreas Roth >

Drinnen und Draußen

 Junge Häftlinge und junge Christen begegnen sich – zwei Welten und eine Annäherung

”Das ist wie im Zoo, wenn man exotische Tiere ansieht”, beschreibt es  Martin[1]. ”Das ist wie im Käfig - wie die Raubtiere und die gut behüteten Kinder”, so beschreibt es Katja. Mit den ”behüteten Kinder” meint Katja sich selbst und ihre Freunde. Junge Leute, alle so zwischen 16 und 22, die aufs Gymnasium gehen und einmal die Woche zum evangelischen Jugendkreis. Sie sind von ”draußen”. “Drinnen” ist Martin. Im ”Raubtierkäfig”, der amtlich “Justizvollzugsanstalt Zeithain” heißt: Sachsens Jugendknast. Und dort drin kann Martin ganz ohne jede Anklage sagen: ”Anfangs sind wir für die nur Anschauungsobjekte. Aber das würde mir doch auch so gehen”.
Freitags aller ein, zwei Monate durchlaufen dort ein Dutzend junger Leute aus dem evangelischen Jugendkreis der benachbarten Kreisstadt Oschatz  erst einmal die greifbaren Grenzen zu den Gefangenen:  vier schwere Türen und einen Stacheldrahtzaun. Die Gesichter hinter den Gitter-Fenstern im Gefängnishof lassen sich am Johlen erahnen. Dass das hier was anderes als ein ”Raubtierkäfig” ist, wird klar, wenn in das kahle Klassenzimmer der Gefängnisschule zwölf Jungs im selben Alter hereinkommen, alle in Sportklamotten und hier etwas ruppig ”Knackis” genannt. In einer Art Prozession wird jeder mit Handschlag begrüßt. Das ist wie ein Wiedersehen in einer alten – und tatsächlich schon dreijährigen – Bekanntschaft, nur schüchterner. “Als ich denen zum ersten Mal die Hand gegeben habe und in die Augen sah, da war ich total überrascht:  Das sind ja ganz normale Menschen”, so wundert sich Anne heute noch über ihr früheres Bild von einem Häftling.
Ein paar der Jungs, die da geradewegs aus ihrem  Zellen-Alltag kommen, strahlen. Andere sind da bedeutend cooler, doch bei der Zigarette draußen vor der Knastschule treffen sich beide Gruppen ersteinmal zum Pausenhof-Palaver. Man spricht ja die selbe Sprache. Und doch sind es Begegnungen so unterschiedlicher Menschen, wie sie vielleicht nur im Windschatten der Stacheldrahtbahnen möglich sind. So wie die folgende Gesprächsrunde, für die der quirlige Gefängnispfarrer Thomas Piesker hemdsärmlig in die Offensive geht: ”Thema heute: Schuld”. Pause. “Schuldig sind wir alle”, ruft einer. Zu viert sitzen sie jetzt beieinander. Je zwei verurteilte Schuldige und zwei von ”draußen”, die ihr Leben nach eigener Schuld abgrasen oder nur zuhören und zaghaft fragen. Und weil ja keiner den ersten Stein werfen will, fangen die ”Knackis” an.  ”Ich bin nicht schuldig”, grinst Daniel trotzig: Ende der Durchsage. Und erzählt dann doch seine Schuld-Geschichte: Vom Kinderheim, wo der Stechschritt zum Frühstück und die Prügel zur Tagesordnung gehörte. Mit zwölf abgehauen, hat er sich auf der Straße durchgekämpft, immer mit der Angst vor der Rückkehr ins Heim.  ”Schuld ?”,  Daniel lächelt trostlos, diese Frage ist Luxus für Leute mit Daniels Biographie. Zu seinen späteren Raubüberfällen will er nicht so sehr ins Detail gehen, er grinst wieder -  zur Abwehr.
Neben ihm sitzt Frank und hört zu, breit und gutmütig wird sein Gesicht, wenn er im Lausitzer Dialekt von seinem Kind erzählt. Dass er so lange in Zeithain einsitzt sei eigentlich ein Justizirrtum  ”Ich bin eigentlich ein ruhiger Mensch. Aber wenn ich mal ausraste...”. Naja, zwei Monate hat ein Ausländer danach im Koma gelegen. Frank lächelt – aus Freundlichkeit oder dumpfen Stolz . Heute würde er seine Gesinnung natürlich nicht mehr so offen zeigen.  ”Da schluckt man schon. Das will ich manchmal gar nicht herausfinden, was die getan haben”, für die siebzehnjährige Kristin hört spätestens hier alle gut gemeinte Gleichmacherei zwischen denen von ”drinnen” und ”draußen” auf. Das gilt übrigens auch umgekehrt:  Einen Freitag draußen, das wissen die Jungs hier drin, den würden sie anders verbringen als die Leute aus der Jungen Gemeinde. Was wollen die denn im Knast ? Kristin suchte  mit Fünfzehn dort eine fremde Welt mit fremden Problemen und Herausforderungen. “Und ich wollte den Inhaftierten eine Stütze sein.” Aber das mit dem Helfen, das hat der Gefängnispfarrer Piesker den jungen Christen damals gleich gesagt, das könnt ihr euch abschminken. ”Wir wurden massiv abgecheckt. Wollt Ihr uns bekehren , seid Ihr Super-Christen ?”, bekam Johannes Päßler zu hören, der Leiter des Jugendkreises. ”Die hatten schlechte Erfahrungen gemacht mit Christen, die zu stark nach ihnen griffen.” Also geht es hier nicht um Mission, sondern um Gespräche und um Respekt. Mit “Knackis” wie  Matthias, der seine Worte immer betont nachdenklich setzt, kommen hier Diskussionen in seltener Ernsthaftigkeit und Schärfe zustande. Nach einem Videofilm über die letzten Worte sterbender Menschen ist er ganz berührt: “Was die alten Leute in dem Film gesagt haben, ist eigentlich wunderbar. Vor denen habe ich Respekt.” Matthias ist einer, der Hoffnung hat. Das zweite Mal hier im Bau, hat vor kurzem hier drinnen seine mittlere Reife gemacht und seine Entlassung ist langsam greifbar. “Knackis” wie Daniel hingegen ist die Hoffnung abhanden gekommen: ”Sterben muß jeder, das ist mir egal. Ich war auch nahe am Sterben, wegen Krebs, da hat sich auch keiner gekümmert”. So geht seine trostlose Rechnung. Ob er, der in Heimen aufwuchs, sich die Frage nach Gerechtigkeit stellt angesichts der so viel glatteren Lebenswege der jungen Christen ? ”Man soll sich nicht mit Dingen beschäftigen, die man nicht ändern kann.” Das hat ihm das Leben gelehrt.

Abends, kurz vor acht, wenn die Sonne tief in den Drahtzäunen hängt, dann blicken die jungen Männer durchs Gitter-Fenster ihren Besuchern hinterher. Umdrehen sollen die sich am Tor möglichst nicht, lautet die Anweisung. Auch nicht zurück winken. ”Da ist in mir ein Zwiespalt. Ich kann raus - und vorbei. Das können die nicht”, sagt Kate, die gerade ihr Abitur hinter sich und die Weiten des Lebens vor sich hat. Derweil kommen hinterm Sicherheitszaun Matthias und Guido nicht auf einen Nenner.  ”Aus den Augen aus dem Sinn”, sagt Guido, “Ich habe meine Scheiße gebaut, deshalb bin ich hier. Und die gehen nach einer Stunde wieder, da kann ich mich nicht reinsteigern.”. Matthias hält behutsam dagegen: ”Ich könnte sowas nicht sagen.” Diese Freitage wühlen etwas in ihm auf: Sehnsucht. ”Und wann sieht man hier schon mal Frauen ?” Guido, der schon lange keinen Besuch mehr bekommt, nicht mal Post, sieht ernst durch seine Brille und will erklären und erklären: “Das tut mir nicht weh, wenn sie gehen. Ich bin draußen genauso, denn ich habe draußen nichts mehr. Ich vergesse das alles, heute abend in der Zelle weiß ich es nicht mehr.” Der Knast ist kein Platz für hoffnungsfrohe Ausblicke. Auf den Gott, mit dem sich über Mauern springen läßt, warten Leute wie Guido noch, oder nicht mal mehr das. Die jungen Leute ”von draußen”, Kristin, Kate, Katja und die anderen, sie werden in ein paar Wochen wieder hierher kommen. Und Guido wird wieder dabeisein.


[1] Alle Namen der inhaftierten Jugendlichen sind von der Redaktion geändert worden

Zurück zur Edition Andi

 
eMail an den Verfasser