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Experiment Mensch (Directors Cut)

Der Film "Das Experiment" fragt nach dem Unmenschen im Menschen

Am Ende von Oliver Hirschbiegels Film "Das Experiment" gibt es eine Szene, die vereint Figuren und Zuschauer. Rückwärts fährt die Kamera durch das zerstörte Versuchsgefängnis, und zurück bleiben die zerlumpten Probanden, als würde die Kamera mit dem Finger zeigen: Da steht er, der Mensch, entkleidet aller Illusion, verletzt und schuldig, der Opfer-Täter. Die einen waren zu Gefangenen gemacht, gequält und meistens geduckt. Und die anderen zu Wärtern, und ihrer Gewalt war die Bahn geebnet. Und wie die Kamera so zurückfährt, bleibt auch das Publikum in den roten Sesseln zurück, der action-Aufguß am Filmende konnte nichts mehr ausrichten gegen die erschütterte Frage : Was ist mit mir, verbirgt sich denn in jedem Menschen immer auch der Unmensch ? So sagen viele, scheinbar zur Gewissheit gekommen, beim Hinausgehen. Da vermischen sich Bilder des Filmes mit Bildern aus den Bürgerkriegen vom Balkan, wo Nachbarn anfingen einander zu morden, und mit den Geschichten des Dritten Reiches sowieso, oder denen von der rechtsradikale Gewalt draußen auf der Straße. Wie aus Alltags-Menschen Verbrecher werden und umgekehrt, menschliche Abgründe bringt "Das Experiment" auf kleinem Raum zusammen. Und unterstellt, eine Dokumentation des tatsächlichen Experimentes an der amerikanischen Stanford-Universität von 1971 zu sein. Ist er natürlich nicht, doch lassen sich weite Strecken des Filgeschehens durchaus mit dem damaligen Experiment des Psychologen Philip Zimbardo vergleichen. 24 junge Studenten hatten sich damals freiwillig gemeldet, und Zimbardo entschied per Münzwurf, wer Wärter und wer Gefangener sein sollte. Tage später ließ er die zwölf Test-Gefangenen von der lokalen Polizei festnehmen und in sein Eigenbau-Gefängnis im Keller der Universität bringen. "Nach nur sechs Tagen mußten wir unser Gefängnis schließen, denn was wir sahen, war erschreckend" , schreibt der heute wohl einflußreichste Sozialpsychologe über sein Experiment. Schon nach zwei Tagen kam es zu Aufständen und brutalen Übergriffen , etwa ein Drittel der Wärter nutzten ihre Macht sadistisch aus, ein Drittel versuchte pflichtbewußt die Rolle zu erfüllen, und nur das letzte Drittel waren Mitläufer. "Jeder ist fähig zu Freundlichkeit oder Brutalität, jeder könnte Mutter Theresa oder Adolf Eichmann sein", auf diesen trostlosen Nenner bringt Philip Zimbardo das Ergebnis seines Experiments. Denn der Mensch sei unter dem Einfluß seiner Umwelt keineswegs das frei entscheidente Wesen, für das er sich gern hält. Ein erster Schritt, der moralische Schranken fallen läßt, ist die "Entmenschlichung" des Gegners. Im Experiment-Gefängnis von 1971 durften die Gefangenen nur einfache Umhänge als Kleidung tragen, fortan waren sie nur noch Nummern, lächerlich aussehende zumal. Ein in Armee, Strafanstalten wie auch im Gesundheitswesen bekannter Effekt, der in der Politik auch mit Worten zu erreichen ist, wenn Gegner pauschal als "unwürdig" dargestellt werden. Der Dresdner Psychologe Sven Handrick erklärt es am Beispiel des Jugoslawien-Krieges von 1999, wie die NATO ihre Gewalt rechtfertigte. "Indem Politiker sagen: die Serben sind selbst nicht menschlich, muß ich mich den Serben gegenüber auch nicht mehr menschlich verhalten." Bezeichnungen wie friedenserzwingende Maßnahmen" für einen Luftkrieg, und "Kollateralschäden" für tote Zivilisten lassen auf einmal sogar hartgesottene Pazifisten dem Töten zustimmen. Solch eine Verwandlung kann auch stattfinden, wenn Menschen die eigene Verantwortung von einer Autorität abgenommen wird. Der Satz "Befehl ist Befehl" ist eine traurige Figur in der deutschen Geschichte, alle Grausamkeiten waren im Versteck der Uniform gerechtfertigt, die Verantwortung trug dann "das System". Abgründe liegen dort offen, und natürlich fragen auch die Philosophen danach, so wie Dr. Joachim Fischer vom soziologischen Institut der TU Dresden. Auch er hat "Das Experiment" gesehen, wird der Mensch dort zum Tier ? "Dieser Film zeigt gerade, dass der Mensch kein Tier ist". Denn das Tier, sagt er, ist gerade nicht zu solchen Gewaltexessen fähig. "Um als Raubtier eine Antilope zu jagen, wird instinktiv Agression freigesetzt, die aber danach wieder verschwunden ist. " Und genau hier liege der Unterschied zum Menschen. "Der Mensch kann seine Agressions-Potentiale auf alles mögliche richten und ist fähig zu exzessiver Gewalt, sich etwas zu unterwerfen." Den Grund dieser menschlichen Besonderheit sieht die Philosophie in der Fähigkeit des Menschen, Phantasie und Vorstellungskraft zu entwickeln. Einmal erfahrener Schmerz quält den Menschen mit ihrer Hilfe immer weiter. "Um etwas dagegen zu setzen, entwickeln sich beim Menschen die tierischen agressiven Impulse in ein Begehren nach Gewalt." Dem widerspricht allerdings der Berliner Sozialpsychologe Matthias Trenel heftig. "Das glaube ich nicht. Es gibt zwar bestimmte Grundbedürfnisse des Menschen. Aber nicht, anderen zu schaden, sondern sich irgendwo zugehörig zu fühlen." Für die Gewalt im Gefängnis-Experiment sieht er andere Ursachen. "Wenn es dort die Norm ist, Gefangenen zu kontrollieren und fühle ich mich dabei auch noch bedroht, dann kann auch sadistisches Verhalten entstehen. Aber wenn ich ein Krankenhaus simuliert hätte, wären dieselben Leute Helfer geworden." Wenn das Umfeld also einen solchen Einfluß hat, stellen sich dem Psychologen wie Sven Handrick weitreichende Fragen. "Müssen wir dann nicht Autoritätsstrukturen in der Familie oder gar die Armee in Frage stellen, weil sie solche gefährlichen Rollen schon allein durch Streifen auf der Schulter ausdrückt?" Doch entsteht so auch ein unentwirrbares Knäuel, wo am Ende nicht mehr klar ist, wer für sein Tun denn nun verantwortlich ist: Gesellschaft oder einzelner Mensch ? "Wir kommen trotzdem nicht umhin, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen, weil sonst ein Zusammenleben unmöglich wäre", fordert da der Theologe Christian Schwarke, Professor an der TU Dresden. Aber was ist eigentlich der Mensch, fragt sich schon die Bibel, und versucht mit dem Begriff "Sünde" eine alte Menschheitserfahrung zu fassen: "In bestimmten Situationen merken wir, dass wir falsch handeln, ohne es zu wollen oder sogar wenn wir das Gute wollen. Scheinbar ist das unserer Verfügung entzogen". Warum der eigentlich als "Gottes Ebenbild" gedachte Mensch derart unvollkommen ist, da hebt der Theologe Schwarke letztlich ratlos die Hände. Doch wo die Antworten ausgehen, liegt möglicherweise auch so etwas wie Hoffnung. Im Kinofilm war es ein bärtiger, schüchtern blickender "Wärter", der einem gedemütigten Häftling heimlich eine Zigarette anbot. "Ich glaube, dass es trotzdem Kräfte gibt die uns helfen, das Leben mit Sorge und Anteilnahme für andere zu leben", sagt dann noch der Psychologe Phil Zimbardo. Denn auch das ist der Mensch, ein zum Mitleid fähiges Wesen.

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