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< Die gesammelten Sonderermittlungen des
homo journalisticus Andreas Roth >

Wo sich Macht und Banalität gute Nacht sagen

Aus der Welt der Linoleumfußböden: aus der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale

Wo ein Haus Runde Ecke heißt, sollte man eine geradlinige Geschichte besser nicht erwarten. Zu Zeiten der deutsch-demokratischen Republik wollte eigentlich auch kaum einer von dem Haus so richtig wissen, damals ging man hier lieber auf der anderen Straßenseite vorbei, während die Macht dem Passanten hinterher Grimassen zu schneiden schien. Irgendwann vor elf Jahren haben die Bürger dann nicht mehr die Straßenseite gewechselt, sondern sind stattdessen geradewegs in die Dienstststelle eingerückt - auf den Fotos aus jenen Tagen tragen die bewaffneten Organe folgerichtig bedepperte Gesichter. Diesen Sieg der leeren Hände über die Waffenträger wollen die Bürger von damals nicht in Vergessenheit geraten lassen und haben deshalb in der alten Schaltzentrale am Leipziger Dittrichring diese und andere Fotos aufgehängt. Nun fragen sie in ihrer Ausstellung, ob bei den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit eigentlich mehr Macht oder mehr Banalität am Werke war, und das ist wahrlich schwer zu beantworten oder auch nur auseinanderzuhalten. Dieser Frage auf der Spur, empfängt den Besucher in der Runden Ecke gleich am Eingang ein in deutschen Farben gehaltenes Stück Staatskunst vor einem Spiegelhintergrund, in dem sich der heutige Besucher genauso wie weiland der MfS-Mitarbeiter ersteinmal selber ins Angesicht sehen kann. Der Urheber des opus magnum wird gleich daneben mit Namen und Wohnort genannt - die Ausstellungsmacher wollen Klarnamen nennen, und wenn`s der von einem erzgebirgischen Bildhauer ist, der Emblem-Malerei an die Macht verhökerte. Wenn man sich daraufhin die Fossilien dieses jämmerlich versunkenen Ministeriums ansieht, schimmert gelegentlich durch, wie gern die Genossen von der Sicherheit gelegentlich auch den Duft von Freiheit und Abenteuer gerochen hätten, wie gern sie ein Bond- oder doch wenigstens Richard Sorge-artiges Schild und Schwert der Partei gewesen wären. So geartete Kundschafter-Prosa, um die sich noch heute MfS-Veteranen wie ein Markus Wolff oder ein Werner Großmann verdient machen, sollte schon die Kleinen in der 7. Klasse ein Leben als Offiziersanwärter schmackhaft machen: Treffe hier schon Deine Vorentscheidung, hieß es in den Schulen, an denen sich Beamte der bewaffneten Organe als Sirenen betätigten, ihr Lied schrieb der Pistolen-Poet F.E. Dzierzynski: Tschekist sein kann nur ein Mensch mit kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen Händen. Für die sauberen Hände gab`s Waschbecken vor den Büros in der Dienststelle, und auch sonst findet man die Wahrheit der Sicherheit eher auf den Linoleumfußböden: Kühle Köpfe und heiße Herzen waren hier eher in preußischer Tradition gehärtete Aktenträger, und man möchte gern erfahren, wie oft die rausgegangen sind zum Hände waschen. Was sich hier auftut, ist nicht die Denkzentrale einer Geheimdienstagentur, es sind die bloßen Niederungen einer deutschen Behörde. In Dienstzimmern wurde der Frieden geschützt, mit Kaffeemaschine und Honni-Konterfei im Rücken, in nach Ölfarbe riechenden Regalen lagerten die Akten der operativen und was sonst noch für Vorgänge, das graue RFT-Telefon war die Macht des kleinen Stasi-Mannes, Stadtplan und Schreibmaschine, von der aus nicht nur die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden, sondern auch die deutsche Sprache: Ich sehe mich veranlaßt, Sie über einen Sachverhalt zu informieren. Eine deutsche Dienststelle mit Patenbrigade, Singegruppe und "Zirkel schreibender Tschekisten", und der Reporter wagt sich nicht auszumalen, was letzterer hervorbrachte. Orden, das Schmieröl der deutschen Diktaturen, gab es auch in ausreichendem Maße, die Fotos zeigen Männer mittleren Alters vor drückend schweren Vorhängen mit einer Art Beamten-Stolz im Gesicht, nichts da vom unsichtbarem Visier. Der rote Wandteppich im Traditionskabinett verheißt in philosophischer Tradition: Zusammen sind wir alles; die wenigsten in der Dienstelle dürften die Tragweite des Diktums erfaßt haben. Natürlich darf in der Ausstellung der Dederon-Beutel mit der eingebauten Kamera nicht fehlen, und natürlich auch nicht die Agententasche mit den falschen Bärten drin ( Modell Bauarbeiter und Modell Araber), und die Maschine zum Telefonabhören, die das Gehörte dann auf eben den Cassetten aufzeichnete, die die Genossen im Nebenzimmer aus Westbriefen entwendet hatten. Das alles darf nicht fehlen, denn das ist die oft schmerzhaft handgreifliche Wahrheit der Stasi, genauso wie die nachgebaute Zelle aus der U-Haftanstalt in der Beethovenstraße, die für viele zum Leidensort wurde. Aber das alles waren die Spitzen eines Eisberges, der unmöglich gewesen wäre ohne den gigantischen Eisklotz unter Wasser, der mitten in der sozialistischen Gesellschaft lag und liegt. Ohne den vorauseilenden Gehorsam, jene traurige Tradition in der deutschen Geschichte, die Lehrer unkonventionelle Aufsätze ihrer Schüler vorsichtshalber oder aus Opportunismus an vorgesetzte Dienststellen weiterleiten ließ. Oder der vorauseilende Gehorsam einer Leipziger Volkszeitung, die Leserbriefe an die werten Genossen weiterreichte (Zitat: Hier wurde auf provokatorische Weise Stellung genommen). und das sind Beispiele nur. Das alles landete dann in einer Dienststelle , auf dem Schreibtisch eines Sachbearbeiters, der machte Aktennotizen, reichte diese weiter, Behördenalltag mit Kaffee und Mittagspause. Die Arbeitsteilung macht's möglich, dass irgendwann und irgendwo dann irgendeiner in der Republik nicht seinen Wunschberuf lernen konnte, oder abgehört wurde, oder in Verruf gebracht wurde, oder im Knast landete. Die Banalität ist im Arbeiter- und Bauernstadt auf diese Weise zu Macht gekommen, diese Wahrheit der Linoleumfußböden wohnt mitten in der Republik, und nicht nur draußen an der Runden Ecke. Aber genau dorthin wurden sie gleich nach der Wende schnell und effizient hingeschoben, so konnten die alten Eliten weiter machen, die alten Zeitungen weiter erscheinen, die alten Lehrer weiter lehren und die alten Genossen weiter genießen. Das mußte die Leute verbittern, die '89 die alte Burg am Dittrichring schleiften. Und so haben sie gleich am Anfang ihrer Ausstellung in der Runden Ecke, aber noch hinter dem MfS-Emblem, rechts und links auf zwei Tafeln ihre Anklage an die neue Zeit aufgeschrieben. Da bricht wieder der alte Bohley'sche Graben zwischen gewollter Gerechtigkeit und bekommenen Rechtstaat auf, wenn dort ausführlich der Prozeß gegen den letzten Leipziger Stasi-Boss Manfred Hummitzsch anhand von Zeitungsausschnitten dokumentiert wird. Der Rechtstaat spach ihn vom Vorwurf der Telefon-Spitzelei frei, das sei doch zu Ost-Zeiten nicht strafbar gewesen. Aber hier geht es ja auch weniger um ein Strafmaß, den Mann auch mal den Knast kosten zu lassen. Hier geht es um das Grinsen der alternden Möchtegern-Tschekisten, die zu solchen Prozessen als groupies anreisen, die Faust emporgereckt und sich in die selbe Tasche lügend, in der schon die unlängst aufgebesserte Rente vom Schweinesystem steckt: sie wären Verfolgte einer Siegerjustiz. Gerade dieses Lächeln macht mir Angst, schreibt eine Frau in der Ausstellung, der in ihrer Jugend durch diese Leute ihr Wunschberuf vewehrt wurde. Auf einer Tafel steht das Credo der Bürgerrechtler: Wer seine Schuld nicht eingesteht, dem kann auch keine Vergebung zugesprochen werden. Statt in Demut üben sich die Altherren-Zirkel der Angehörigen der bewaffneten Organe derweil in selbstkonstruierten Opferrollen und knüpfen eifrig Netzwerke, die alle irgendwie die Worte Humanität, Menschen- und Bürgerrechte im Emblem führen, garantiert hundert Prozent ironiefrei. Die ehemalige Macht ist entkleidet wieder jene dummdreiste Banalität, die sie wahrscheinlich immer schon war. Das alles steht auf der rechten Tafel am Eingang der Ausstellung in der Runden Ecke, auf der linken Tafel zeigt sich eine gewisse Tragik oder - wie man so will, und ob man darüber lachen kann - die Komik der Geschichte. Haben doch tatsächlich die Fallstricke der Macht und auch die der Banalität nicht vor den Bürgerrechtlern von '89 haltgemacht, und breitfüßig ist man auch bisweilen hineingetappt. Da wird Leuten wie Reinhard Höppner der Vorwurf gemacht, für ihn mutiere die DDR inzwischen fast zum Rechtstaat, nur weil der Mann sich landesväterlich für eine differenzierte Sicht auf die Vergangenheit ausgesprochen hat und eben gegen Feindbilder. Auch wird auf jener linken Tafel ein Protest gegen die Unterzeichner der - wir erinnern uns - "Erfurter Erklärung" dokumentiert, die vor der 98er Wahl für einen Regierungswechsel warb. Und wir fragen uns, was eigentlich der Erfurter Propst Heino Falcke und der für die Ostpolitik nicht ganz ohne Verdienste wirkende Egon Bahr verbockt haben, hier im Angesicht von Stasi-Generälen an den Pranger gestellt zu werden. Die Versuchung der Macht: Wenn Ex-Oppositionelle Kraft ihrer Biographie im Verbund mit beißfreudigen Medien das Recht auf Unschuldsvermutung außer Kraft setzen und Menschen der Stasi-Mitarbeit bezichtigen, ohne dafür eindeutige Belege zu liefern, wird neues Unrecht geschaffen, nichts anderes. Wie hier der "als IM "Heiner" sattsam bekannte Berliner Ex-Professor Heinrich Fink" süffisant vorgeführt wird wie auch die neuerliche IM-Debatte um den MDR beweist eigentlich nur, dass angelegentlich auch einmal so etwas wie eine Aufarbeitung der Aufarbeitungan an der Reihe wäre. Der Unterzeichner jenes ausgestellten Protesbriefes gegen die Erfurter Erklärung übrigens heißt Arnold Vaatz, eine traurige Symbolfigur dafür, wie die Macht der Revolutionäre von gestern in die Falle der Selbstgerechtigkeit stolpert, und dann das ist, was sie nie sein wollte: Banalität nämlich. Und auf die Ausstellungstafel über Egon Bahrs hat jemand mit Kuli irgendetwas von Volksverhetzer und Auschwitz-Leugner neben Bahrs Namen gekritzelt. Und keiner hat`s bis jetzt weggewischt.

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